aus Perspektive des Förderers, dem BMBF, erfolgreich. „Kultur macht stark“ hat bei den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen jene Wirkungen entfaltet, die man erhofft und intendiert hatte. So wurden ihre „gestalterisch-kreativen Fähigkeiten“ ausgebaut, „ihr Selbstvertrauen und Selbstbe- wusstsein“ sowie „ihre Persönlichkeitsentwicklung“ wurden gestärkt und „ihre Teamfähigkeit“ wurde gefördert11. Drit- tens: Kulturelle Bildung rückt nach jahrelanger Fokussierung auf sog. MINT-Fächer mehr ins bildungspolitische Blick- feld, allerdings – das muss man der Ehrlichkeit halber sagen – nicht selten zu Lasten der regulären schulischen künstleri- schen Fächer. Viertens: Das Programm hat aufgrund seiner Struktur die schon erwähnte Lebensweltnähe: Bundes- und Fachverbände aus den Bereichen Kultur/Kulturelle Bildung, Sozialarbeit/Jugendarbeit und Bildung/Jugendbildung sind die Programmpartner und die letztendlichen Förderer der Projekte, die vor Ort in Stadtteilen, im Dorf, in der Klein- stadt umgesetzt werden. Die Vielfalt an Akteuren und Akteu- rinnen und ihre jeweilige Expertise tragen dazu bei, die dem Programm zugrunde liegenden Prämissen auch einzulösen: Kindern und Jugendlichen über den erweiterten Kulturbe- griff vielfältige Zugänge zu ermöglichen – von A wie Action Bound über Chor, D.I.Y.-Kultur, Filme drehen, Medienarbeit, Rap-Musik bis hin zu Z wie Zirkus. Fünftens: Damit zusam- menhängend: Die Ursachen für gesellschaftliche Exklusion und Nichtzugänglichkeit zu wichtigen gesellschaftlichen Teilbereichen – und hier gehört Kultur dazu – sind komplex. Die Bündnisse, die trialogische Grundstruktur des Pro- gramms mit den unterschiedlichen Partnern aus dem Kul- tur-, Jugend-, Sozial- und Bildungsbereich ermöglichen es, dass unterschiedliche Expertisen und fachliche Blickrich- tungen eingebunden sind und dass dieser Komplexität mit der notwendigen Multiperspektivität begegnet werden kann. Sechstens: Die in jedem Bundesland eingerichteten Bera- tungsstellen für „Kultur macht stark“, in Baden-Württemberg ist diese – wie erwähnt – bei der LKJ, sind zentrale und not- wendige Pfeiler im Gesamtprogramm, denn sie unterstüt- zen alle Interessierten bei der Orientierung im Bundes- programm, bei der Konzeption und Planung von Projekten und bringen potenzielle Projektpartner zusammen. Damit erfüllen sie eine wichtige Katalysatorenfunktion und gewähr- leisten, dass unterschiedliche Akteure und Akteurinnen wie z. B. auch kleine Vereine, die per se weniger Woman- und Manpower haben, ihre Ideen umsetzen und am Programm mitwirken können. Die Positivliste ist lang, gleichwohl gibt es einige kritische Punkte, die die fachliche und begriffliche Rahmung von „Kultur macht stark“ betreffen. Ich möchte mich als „critical friend“ im Folgenden auf drei Aspekte konzentrieren, die das Programm an sich, seine Umsetzung generell und in Baden- Württemberg betreffen. Erstens: „Angezielt und doch dane- ben“ – die Zielgruppen und Sozialräume, zweitens: „Koope- ration und Multiprofessionalität“, und last but not least werfe ich noch einen grundsätzlichen Blick auf das Programm: „Die Idee & die Umsetzung des Programms – Prämissen auf dem Prüfstand“. „Angezielt und doch daneben“ – Zielgruppen und Sozialräume „Angezielt und doch daneben“ ist der Titel eines Beitrages auf einer Tagung der Transferstelle politische Bildung, in dem es um die Frage der „wenig erreichte(n) Zielgruppen“12 geht. Daraus wird ersichtlich, dass das Thema „Zielgrup- pen“ und die Anforderungen, die „richtigen“ zu erreichen, ver- schiedene Bildungsbereiche beschäftigen – vor allem jedoch den außerschulischen. Die Frage, wie man die „richtigen“ Kinder und Jugendlichen gewinnt, wurde auch im Ausblick II „Zugänglichkeiten überprüfen und Zugänge öffnen“ deutlich. Bei „Kultur macht stark“ werden die adressierten Zielgruppen, wie bei vielen anderen Programmen auch, mit den Begriffen „benachteiligt“ oder „bildungsbenachteiligt“ gefasst oder mit „Kinder und Jugendliche aus sozioökonomischen Risikola- gen“ umschrieben. Neben den Zielgruppen ist auch der Sozi- alraum eine zentrale Kategorie im Programmsetting, und zwar im doppelten Sinne. 11 Prognos AG 2020: 34 12 Transferstelle 2016 Sozialraumbezogene Indikatoren (z. B. Arbeitslosen- quote, Anzahl der ALG-II-Empfänger*innen, Anteil der Kin- der und Jugendlichen mit Sozialgeldbezug oder mit Lern- mittelbefreiung) sollen sicherstellen, dass die anvisierten Zielgruppen auch erreicht werden; diese Aufgabe obliegt den sogenannten Sozialraumpartnern. Sie sind u. a. „für die Ansprache und Gewinnung der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen zuständig“13. Gleichzeitig definiert der spezifi- sche Sozialraum den Aktionsradius; die Projekte von „Kultur macht“ stark sollen sich innerhalb der Grenzen des spezifi- schen Sozialraums bewegen. Beim ersten Lesen mag man sich fragen: Was ist daran falsch, dass Kinder und Jugendliche Zugänge zu wichtigen Bildungsbereichen und Erfahrungsräumen bekommen, die ihnen qua sozioökonomischer Familiensituation, Wohn- und Lebensumfeld eher verwehrt sind? Grundsätzlich natürlich nichts, aber in den Begrifflichkeiten und im Programmsetting liegt ein nicht zu unterschätzendes gesellschaftliches Aus- grenzungspotenzial. So betonen zum Beispiel unterschied- liche Programmpartner, dass der Begriff „bildungsbenach- teiligt“ nicht genutzt werden kann und sollte, da dieser zur Stigmatisierung der Zielgruppe führt14. Gleiches gilt für den Begriff „bildungsfern“15, der die „Ferne“ zur Bildung auf Indivi- duen bezieht und nicht auf das Bildungssystem und seine Ins- titutionen, das zu „entfernt“ von bestimmten Lebensrealitäten ist und sich somit schwertut, Bildungszugänge zu eröffnen. Deprivilegierte Gruppen zu adressieren, ohne sie zu etiket- tieren, ist eine der größten Herausforderungen, die mit der Umsetzung von „Kultur macht stark“ verbunden sind. Ein Beispiel hierfür ist der häufig benutzte Indikator für Benach- teiligung, der „Migrationshintergrund“, ein Begriff, hinter dem eine Art imaginierte kulturelle Differenz steht. Laut Bil- dungsbericht 2020 sind zum Beispiel Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund überproportional von bildungsbe- zogenen Risikolagen betroffen16. Ja, es gibt eine statistisch nachweisbare Korrelation zwischen Migrationserfahrung 13 Prognos AG 2020: 24 14 Vgl. dito: 34 15 In der Bekanntmachung der Bundesregierung heißt es „bildungsferne Elternhäuser“. 16 Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 6 14